Wort / Marathon statt Sprint
Mit vielen Schritten kommt man auch zum Ziel, nur langsamer!
Drei Monate sind wir nicht auf der Baustelle gewesen. Wie ist es dort inzwischen weitergegangen? Projektkoordinator und Bauleiter Olaf Backfisch empfängt uns am großen Eingangstor.
Es sind Strukturen erkennbar, aber es bleibt schwierig – dieses Fazit zieht Olaf Backfisch, bevor wir die Baustelle betreten. Nach dem Sommer wollen wir sehen, wie es voran gegangen ist: Ja, es ist weitergegangen, aber nicht so reibungslos und schnell wie es sich der Fachmann vorgestellt hat.
Deshalb, so kann man es sagen, wirkt Backfisch bei aller Professionalität auch ein wenig grundgenervt: „Es ist wirklich schwer, Firmen für dieses Projekt zu binden“, sagt er, „das liegt einerseits am allgemeinen Bauboom, aber auch daran, dass diese Baustelle eben schwierig ist“.
Banale Probleme mit großen Auswirkungen
Einige, die man versucht habe, für das Projekt zu gewinnen, haben gleich abgelehnt, nachdem sie gehört hatten, dass sie nicht ohne weiteres einen Parkplatz für ihre mitgebrachten Fahrzeuge finden. Es seien oft solch banale Dinge, die dafür sorgen, dass auch unter denjenigen, die tatsächlich auf der Baustelle arbeiten, Frust herrscht. Hinzu kommt: Obwohl die Aufträge überwiegend an deutsche Firmen vergeben worden sind, beauftragen diese wiederum Subunternehmer. Deshalb sind derzeit vor allem Polen, Ungarn, Bulgaren und Türken tätig, die sich untereinander kaum verständigen können. Ein Fakt, der vor allem dafür sorgt, dass es immer mal wieder zu Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnissen kommt.
Bauen im Jahr 2019, so muss man also feststellen, ist nichts für zarte Nerven. Und deshalb ist die Freude auch umso größer, wenn Olaf Backfisch an einzelne Punkte auf seiner langen Liste, einen Haken setzen kann. „Ich bin froh über jeden Quadratmeter, der fertig ist.“ Ein Grund zur Freude sind etwa die Dächer, die inzwischen so gut wie fertig sind. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil das weitere Baugeschehen in den Gebäuden dadurch endlich nahezu unabhängig von den Witterungseinflüssen weitergehen kann.
Das nächste, und wohl auch eines der schwierigsten Projekte in den kommenden Wochen wird die Ertüchtigung des riesigen Holzgerippes im Mittelhaus sein. Zur Erinnerung: Nach dem Abbruch der übrigen Substanz stellte sich dieser Bereich als Fachwerk heraus. „Allerdings ist es in einem schlechten Zustand, es ist nicht tragfähig und muss gesichert werden“, erklärt Backfisch. Wie genau? „Von außen wird direkt neben die alte Holzkonstruktion eine weitere als Stütze dagegengesetzt und im Anschluss mit der bereits vorhandenen verschraubt.“
Parallel dazu sind derzeit bereits Arbeiter dabei, das alte Fachwerk sukzessive zu ertüchtigen. Das bedeutet: Morsche Stellen werden erneuert und mit Ziegelsteinen verfüllt. „Das ist unendlich aufwändig, aber wir sind froh, dass wir überhaupt eine solche Lösung für dieses komplexe Problem gefunden haben“, erklärt Backfisch. Wie lange das Prozedere schließlich dauert, darüber kann man derzeit bestenfalls spekulieren.
Sanierung bei laufendem Betrieb
Sobald die Außenarbeiten am Fachwerk fertig sind, geht es innen weiter. Dort entsteht pro Etage jeweils eine Vier-Zimmer-Wohnung. Knifflig ist das zusätzlich noch dadurch, dass das Mittelhaus über dem Fahrradladen liegt, in dem noch immer normaler Verkaufsbetrieb herrscht. Dieser musste für die anstehenden Arbeiten auch räumlich durch provisorische Wände vom Baugeschehen getrennt werden. Auch dabei gab es wieder eine Überraschung: Nachdem die benötigte provisorische Trennwand stand, konnten die Bauarbeiter die Wand des Mittelhauses freilegen. „Dabei haben wir festgestellt, dass das Fundament im Erdgeschoss praktisch nicht vorhanden war. Man könnte auch sagen: Das gesamte
Mittelhaus war nicht ordentlich gegründet und stand frei. Wir mussten in diesem Bereich also ein neues Fundament einbauen.“
Nachdem das nun erledigt ist, wird demnächst das derzeit noch marode Dach des Mittelhauses erneuert. Dazu wird zunächst die alte Konstruktion entfernt. Bevor sie durch eine neue ersetzt werden kann, muss das Dachgebälk insgesamt angehoben werden, denn es war bisher viel zu flach.
Zu wenig Leute
Ein Blick in die Vorderhäuser offenbart ebenfalls rege Bautätigkeit. Hier sind derzeit vor allem die Trockenbauer und eine Firma tätig, die die Wärmedämmung aufbringen soll. Die Abfolge der einzelnen Arbeitsschritte ist komplex. Man möchte meinen, zu komplex für die polnische Dämm-Firma, denn es sind schlicht nicht genug Arbeiter für die Fülle der auszuführenden Arbeitsgänge vorhanden. „Wir haben einen intensiven Schriftverkehr“, kommentiert Backfisch die Sachlage sarkastisch, denn zufrieden ist er mit der Konstellation nicht.
Das Raumgefühl lässt sich bereits erahnen
Auch im innenliegenden Flur, der künftig die Treppenaufgänge der Vorderhäuser 1 und 2 verbindet, wird gearbeitet. Hingegen wirkt die Wohnung im Dachgeschoss des Vorderhauses 1 bereits recht weit gediehen. Dachfenster und Oculi sind eingebaut und verbessern den Raumeindruck enorm, denn es ist sehr hell. Auch der Trockenbau ist in diesem Bereich fast abgeschlossen. Gegenüber, dort, wo die noch fest verschlossene Balkontür den Blick zum Innenhof freigibt, lässt sich bereits das Raumgefühl erahnen.
Schon jetzt kann der Besucher einen schönen Blick auf die in der Fußgängerzone gelegene Ulrichskirche erhaschen. Keine Frage, hier ist eine schöne Wohnung entstanden.
Bis zum nächsten Vor-Ort-Termin hofft Olaf Backfisch, dass er wieder etwas mehr Schlaf bekommt. Denn derzeit wird er fast jede Nacht von der Alarmanlage geweckt. Sie löst aus, wenn der Bewegungsmelder in Halle anschlägt. Nicht immer müssen es Diebe sein, die sich an der Baustelle zu schaffen machen. Aber geweckt wird Olaf Backfisch trotzdem, denn im Alarmplan ist dies so vorgesehen. Kürzlich waren es Fahrraddiebe, die in den Laden des Fahrradhändlers Jörg Katzenellenbogen eingestiegen sind, aber auch streunende Katzen waren schon die „Täter“.