Wort / Erschließung - Ein schwieriges Unterfangen

6. April 2016 

Ein grünes Netz bedeckt die Erkerfront zur Straßenseite. Ansonsten deutet von außen kaum etwas darauf hin, dass sich hinter der schlichten Fassade der Häuser Alter Markt 1 und 2 derzeit so gut wie alles ändert. Schon gar nichts erinnert daran, dass hier eine umfassende Sanierung begonnen hat, die in Puncto Aufwand zu den eher schwierigen Projekten zählen dürfte. Der Grund: Die beiden historischen Gebäude liegen direkt an einer innerstädtischen Bahnlinie, so dass die Straße nicht für die anstehenden Bauarbeiten gesperrt werden kann.

„Das ist für uns eine logistische Herausforderung“ sagt Generalunternehmer Olaf Backfisch, der inzwischen eine gleichermaßen unkonventionelle wie aufwändige Lösung gefunden hat: Dazu musste zunächst der auf dem Grundstück eines Nachbarn befindliche Parkplatz angemietet werden. Dort ist nun ein riesiger Kran installiert worden. Für die in den nächsten Wochen anschließende Entkernungs- und Erschließungsphase wird er nun eine Schlüsselrolle einnehmen. Sämtlicher Schutt, der aus dem Gebäude heraus geräumt werden muss, aber auch alle für die anstehende Sanierung benötigten Materialen und Baumaschinen werden über diesen Kran transportiert. Das kostet nicht nur Schweiß, es ist auch ziemlich teuer: „Für unsere Erschließungskosten könnte man ein Einfamilienhaus bauen“, sagt Olaf Backfisch. Für komplizierte Situationen eine Lösung zu finden, das gehört quasi zum Job des gelernten Bauingenieurs, der in der Nähe von Dresden eine Firma betreibt. Gerade musste er wieder einmal umplanen. Denn wie sich inzwischen herausgestellt hat, kann ein alter Fernwärme-Anschluss im Hof nun doch nicht – wie ursprünglich geplant – für die neuen Wohnungen genutzt werden.

26. Mai 2016 

Abenteuer

Der Gang über die Baustelle gleicht einem Abenteuer: Löcher in den Fußböden, Balken, die zur Stabilisierung dienen und überall Schutt, und kein Ende. Noch immer transportiert der orangefarbene Kran, der auf einem Nachbargrundstück steht, das ab, was die Bauarbeiter täglich aus den beiden Häusern herausreißen. Container für Container. Es ist filigrane Maßarbeit, die der Kranfahrer da leisten muss. Denn die am Seil hängenden Container müssen dabei in einen Hof bugsiert werden, der nur geringfügig breiter ist, als die Container selbst. Addiert man noch den Wind und die Gesetze der Physik dazu, dann scheint es fast an ein Wunder zu grenzen, dass dieses mühsame Prozedere überhaupt funktioniert. Der Schutt ist durch den Abriss von Trennwänden, tragenden Wänden sowie von Gebäudeaußenwänden eines zu entfernenden Anbaus angefallen. Weil der Abtransport zeitaufwändig ist, türmt er sich nun im etwa 30 Meter langen und nur fünf Meter breiten Hof bereits in einer Höhe von fast zwei Metern. 4500 Kubikmeter reiner Ziegelschutt sind das. Das ist nur eines von vielen Hindernissen, mit denen Generalplaner Olaf Backfisch klar kommen muss. Denn in den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass die Sanierung dieser beiden alten Häuser ihre eigenen Gesetze hat. „Wir brauchen keine Überraschungseier, wir haben unsere Baustelle“, sagt er scherzhaft und meint damit die vielen unerwarteten Dinge, die bei der Sanierung zum Vorschein kommen und kamen und die für Backfisch und sein Team planerisch vor allem ständige Flexibilität bedeuten.

Ein aktuelles Beispiel: Um für die späteren Wohnungen mehr Licht zu bekommen, werden in den nächsten Wochen und Monaten zwei große seitliche Gebäudeteile verschwinden. Derzeit ist man dabei, sie von oben nach unten Geschossweise abzutragen. Beim Abriss eines dieser Anbaue war man bis dato davon ausgegangen, dass es sich bei seinen seitlichen Begrenzungen um massive Außenwände handelt. Doch inzwischen ist klar: Es ist Fachwerk – und damit wieder anders als ursprünglich gedacht. Das bedeutet, der erst zur Hälfte erledigte Abriss muss an dieser Stelle zunächst gestoppt werden. Denn jetzt hat erst einmal die Prüfung Vorrang, ob das Fachwerk erhalten werden kann. Und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Ein Statiker wird deshalb in den nächsten Wochen ständiger Gast auf der Baustelle sein.

Bereits vollständig entkernt und damit inzwischen wirklich ausbaufähig ist hingegen das Dachgeschoss eines benachbarten Traktes im Haus Alter Markt 1. Hier bekommt man eine erste Ahnung, wie interessant die Schnitte der späteren Wohnungen sein werden. Schwierig in diesem Bereich ist allerdings, dass die Decke angehoben werden muss, um auf die notwendige Geschosshöhe zu kommen. Außerdem muss der einfache Dielenfußboden aufgefüllt werden, damit eine akustische Schalldämmung zum darunter liegenden Geschoss möglich wird. Außerdem problematisch: Es gibt kein einheitliches Konzept, dass sich durch jede Etage zieht. „Das bedeutet, wir müssen in jedem Stockwerk neu nachdenken“, sagt Olaf Backfisch.

Eine weitere Überraschung gab es im Hinterhaus des Gebäudes Alter Markt 1: Dort sind beim Entkernen Stahlstützen zum Vorschein gekommen. Sie waren zuvor mit so genannten Sauerkrautplatten verkleidet gewesen. Nun, da der Stahl frei liegt, bringt er zugleich Probleme mit den Bestimmungen des Brandschutzes. Im Fall eines Feuers würde er sich schnell verformen, so dass der Gebäudeteil akut einsturzgefährdet wäre. Aus diesem Grund müssen die Stützen nun speziell verkleidet werden.

 

Allerlei Historisches

Inzwischen ist beim Entkernen allerlei Historisches zu Tage gefördert worden: Alte Bordüren wie sie etwa zum Beginn des 20. Jahrhunderts üblich waren. Außerdem alte Zeitungen, die an den nun von jeglicher Tapete befreiten Wänden zum Vorschein gekommen sind und die seinerzeit offenbar als Makulatur beim Tapezieren verwendet worden waren. Dabei handelt es sich unter anderem um die „Hallischen Nachrichten“ vom 27. und 28. Juli des Jahres 1928, die seinerzeit mit der Schlagzeile „Geht Stresemann nach Paris“ aufmachten. Ebenfalls gefunden wurde ein nicht massives Sandsteinportal, das nun allerdings abgetragen werden muss. Denn einerseits befindet es sich an einer späteren Außenwand, andererseits würde es im nicht-gedämmten Zustand eine Kältebrücke bilden.

 

Fundstücke dokumentieren den Lauf der Zeit

Beim Abtragen eines alten Schornsteins an der Grenze zum Nachbargrundstück haben die Bauarbeiter inzwischen ein altes Abström-Rohr aus Steingut sichergestellt. Bauingenieur Jörg Voigt: „So etwas hat man früher in den Kamin eingebaut, wenn er nicht gut gezogen hat.“ Das sperrige Teil wird nun zwar nicht mehr gebraucht, aber, so Voigt weiter, „wir haben es erst mal gesichert.“ Auch mehr oder weniger Nutzloses, aber dennoch nicht uninteressantes findet sich: In einer Nische wurde ein Trockner-Gerät für die analoge Filmentwicklung aus DDR-Zeiten gefunden. Dafür gibt es sicher keine Verwendung mehr. Aber es dokumentiert – genau wie die anderen Fundstücke – den Lauf der Zeit, der dem Haus im Fortgang der Jahre seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hat. Er hat Schönes hinterlassen genauso wie Nutzloses. Er hat Wunden gerissen und Narben hinterlassen.

 

Mehr Licht

Dort, wo der Kamin einst stand, an der Gebäudegrenze zum Nachbargrundstück, gibt es inzwischen auch eine Lösung für ein bisher bestehendes Problem: Die Nachbarin hat zugestimmt, dass eine rund 8 Meter hohe Mauer, die beide Grundstücke voneinander trennt, nun um etwa drei Meter abgetragen werden darf. Das bringt vor allem Licht für die späteren Wohnungen im Gebäude Alter Markt 1.

 

Alte Zeichnungen belegen ursprüngliche Fassadengestaltung

Generalplaner Olaf Backfisch hat inzwischen weitere Recherchen zur Gestaltung der Fassade angestellt. Im Stadtarchiv ist er unterdessen auf zwei Zeichnungen gestoßen. Sie zeigen die Fassade des Hauses 1 aus dem Jahr 1875 und des Hauses 2 aus dem Jahr 1923. Ebenfalls zu Hilfe genommen wurden historische Fotos und Postkarten. Sie belegen eindrucksvoll, dass die Außenfassade jeweils sehr verschieden war. Und in dieser historisch überlieferten Form soll sie nun auch wieder entstehen. „Beide Häuser werden deshalb von Außen ziemlich verschieden aussehen. Innen jedoch bilden sie eine Einheit“, so Olaf Backfisch.